Einführung
Alle vier Novellen des Zyklus „Kleinen Kretische Tetralogie“ erwecken tiefenpsychologisch die mythologische Welt der Antike. In einem die Epochen übergreifenden Ansatz gehen sie der Frage nach, inwieweit das Schicksal der dargestellten Figuren – in Anspielungen und Analogien zu entsprechenden Sagenkreisen – vorherbestimmt ist. Zwar spielen die Erzählungen in unserer Gegenwart, die von rationalen Lebensgefühls geprägt ist, doch werden in den Abläufen immer wieder mythische Strukturen offenbar. Mit feiner Selbstironie lösen sich am Ende die Geschehnisse schließlich selbst in Rätselhaftigkeit auf. Entstanden sind die vier Novellen auf Kreta. Sie versuchen, die Stimmung dieser faszinierenden Insel, die als Wiege der europäischen Kultur gilt, aufzunehmen und ein Bild von ihrer magischen Aura zu vermitteln; dabei spielt die Gewalt – aber auch Gewalttätigkeit des Eros immer wieder eine entscheidende Rolle.
Jede der vorgestellten Novellen steht für sich allein, doch werden in ihrer Gesamtheit – auf den zweiten und dritten Blick – mancherlei geheimnisvolle Varianten deutlich: Die vom Schicksal Getriebenen scheinen immer irgendwie die gleichen zu sein…
I – Hotel Labyrinthos
In HOTEL LABYRINTHUS erlebt ein smarter, in den Mittdreißigern nach Lebenssinn suchender deutsche Bauingenieur eine leidenschaftliche Affäre mit einer jungen griechischen Architektin. Langsam wird ihm klar, dass sein Chef, der Bauherr eines neuen Luxusl-Hotels auf Kreta, in ein Labyrinth mafia-artiger Strukturen eingebunden ist, aus dem er sich nicht mehr befreien kann. Parallel dazu geht die Beziehung des Mannes zu der dem Deutschen fremd bleibenden Griechin in die Brüche, ausgelöst durch die Eifersucht und die Animositäten eines kretischen Jünglings ihm gegenüber als Ausländer.
II – Die Taverne „Das Argonautenschiff“
Motive der aus der Sage um das Goldene Vlies stehen im Mittelpunkt der Erzählung „Die Taverne „Das Argonautenschiff““. Der junge US-Weltenbummler Jason scheint nach seiner familienbedingte Flucht nach Europa in der gleichermaßen tatkräftigen wie introvertierten kretischen Wirtstochter seinen endgültigen Halt gefunden zu haben; aus ihrer Verbindung entspringen vier Kinder. Der einstmalige Freak wird in der Dorfgemeinschaft zum durchaus angesehenen Landmann. Dennoch entwickelt sich zwischen dem Ehepaar langsam eine emotionale Entfremdung, die in einer exzessiven Bedrohung des Nachwuchses endet. Ein tragisches Missverständnis ist der Grund: Jasons Schwester, die den lang verschollenen Bruder wieder auf Kreta auffindet, wird von der ihr unbekannten Schwägerin für die Geliebte ihres Mannes gehalten…
III – Die „Hades“-Discothek
Die Novelle „Hotel Hades“ stellt die Lebenslüge zweier homoerotischen Männer in den Mittelpunkt der Handlung. Beide Väter machen Karriere – der eine als Arzt, der andere als Spross eines angesehenen Buchhändler-Clans. Nur bei gelegentlichen Jacht-Aufenthalten in einer alten Villa auf Kreta können sie sich, von bürgerlichen Zwängen befreit, liebend auf einander einlassen, ohne sich jeweils öffentlich zu „outen“. In verschiedener Weise werden sie im Laufe der Entwicklung schuldig am Missbrauch eines kretischen Waisenknaben, der sich nicht von den ihn prägenden widersprüchlichen Erlebnissen befreien kann und als junger Entertainer zum selbstmörderischen Zyniker wird. Die schöne Villa endet schließlich als Edelbordell. – Das schicksalhafte Geschehen deckt allmählich auch die Verstrickungen der unterschiedlichen Herkunftsfamilien der beiden Deutschen während der Besetzung Kretas durch Nazi-Deutschland auf.
IV – Die minoische Prinzessin
IVa – Anhang zur Novelle „Klymene und Endymion“
Die Tetralogie wird abgeschlossen mit der Erzählung „Die Minoische Prinzessin“ , die auf die kretische Vorgeschichte, die Herrschaft und den Untergang der Minoer, Bezug nimmt. Geschildert werden die merkwürdigen Erscheinungen beim letzten Grabungs-Projekt eines alten deutschen Archäologen, den Konkurrenzängste gegenüber seinem jungen innovativen Nachfolger plagen. Die realen Vorgänge sind verwoben mit zwei Parallelhandlungen – der Geschichte des pre-etokretischen Liebespaares Xenia und Emisius und dem kleinen Versepos von der „Minoischen Prinzessin“ und ihrem leidenschaftlichen Verehrer – auch hier in einem paganen Ansatz, der Zeiten und Identitäten mit einander verschmilzt – in fein abgestimmten Konstruktionen. Am Ende steht die Entschlüsselung der bis heute noch unbekannten Sprache der Minoer. – Ironisch ist dieser als „Forschungsbericht“ bezeichneten Novelle noch ein Anhang angefügt : die ins „Deutsche übertragene“ Fassung der fiktiven vorantiken Dichtung.