34 – „Sturm“ von William Shakespeare

Sehen Sie im folgenden die gesamte Inszenierung des „Sturms“ in fünf Teilen:

In der letzten Aufführung von „Der Sturm“ gibt es einen besonderen Schlussakzent (siehe Video-Teil 5 ab Minute 28:50): Von Nachfolger Andreas Kühnel moderiert, präsentieren Gäste aus früheren Ensembles eine Schiller-Parodie von „Die Bürgschaft“ zum Abschied des Meisters Erland Schneck-Holze. Bedauerlicherweise wurden bei den Postings wichtige Musiken nicht übernommen, was aber für die Betrachtung nicht besonders einschränkend ist.

Aus der umfangreichen HOLA-Prinzengarde singt der letzte Prinz ein Liebeslied:

Eine über dreiunddreißigjährige Ära endet.

Erland Schnecks letztes Projekt mit „seiner“ TheaterGruppeHOLA

 

Eine riesige Krake lastet über der Insel – die Naturgöttin Sykorax, das Hauptsymbol der Inszenierung. Ist sie es, die immer wieder den Sturm in der Natur und in den Menschen entfacht?

In der letzten Inszenierung des Mentors der Theatergruppe der Hohen Landesschule Erland Schneck-Holze sind mancherlei Motive des Alters-Dramas von William Shakespeares neu bearbeitet und verschoben, in guter alter HoLa-Tradition, ist es doch der Anspruch der Schultheatermacher, klassischen Texten in ansprechenden Jugendbearbeitungen neue Ideen und Aspekte abzugewinnen; dies geschieht in der Probenarbeit konzeptionell gleichsam als kreatives „work in progress“, den Assoziationen und Möglichkeiten der Spielerschar jeweils adäquat angepasst – ein Konzept, dass über dreißig Projekte hinweg (wenngleich manchmal umstritten) offensichtlich trug, als „Literaturunterricht mit anderen Mitteln“.

Neben der enormen Spielfreude war denn immer wieder spürbar das Bemühen um ernstzunehmende Grundierung mit psychologischen, politischen und religiösen Motiven; so liest sich der Spielplan der Gruppe in den drei vergangenen Jahrzehnten wie eine unbekümmerte Zusammenstellung der wichtigsten Dramen aus allen literarischen Epochen. Stilistisch hat die Theatergruppe im Laufe der Zeit das Konzept des Traumtheaters entwickelt, das mancherlei Möglichkeiten der märchenhaften, aber auch epischen Brechung zulässt, so dass zuweilen eine selbst-reflektierende ironische Distanz entsteht.

Alles dieses findet sich ebenso im „STURM“ wieder, zuletzt sichtbar in einem auch dieses Mal ausgeklügelten, stimmungsvollen Lichtdesign (seit Jahren betreut von der bekannten Firma „Bright“-Preproduction, Maintal , gegründet von den ehemaligen Holanern Thomas und Michael Giegerich). Auch viele der bemerkenswerten Musikeinspielungen haben bereits Kultcharakter und Wiedererkennungswert für die Fans und Liebhaber des Ensembles.

 

An der Spitze der STURM-Mannschaft steht Prospero, der  auf eine – wie der zweite Blick zeigt –  gar nicht so friedliche „paradiesische“  Insel vertriebene, europäische Herzog. Mithilfe seines rätselhaft aufgefundenen Zauberbüchleins (als moderne Formelsammlung apostrophiert)  kann er sich als Herrscher gegen den indigenen steinzeitlichen Volksstamm behaupten. Dabei hat er den jungen Häuptling entmachtet, der sich als Knabe in des Alten Töchterlein verliebt hat.

Der sehr begabte Rafael Kothe gibt den komplizierten Prospero als glaubwürdige, vielschichtige Studie eines in sich zerrissenen Mannes, sensibel und herrisch zugleich, schwankend zwischen beinahe inzesthafter Liebe zu Miranda (nach dem Tod  seiner Frau das Letzte, was ihm aus der alten Welt geblieben ist)  und herrischem Auftritt, voll von Rachebegier gegen seinen mörderischen Bruder. Gleichzeitig vermag der junge Darsteller es auf verblüffende Weise, auch den dialektischen Prozess der Reifung Prosperos sinnfällig zu machen, der schließlich dazu führt, dass er seinem Bruder dessen Untaten verzeiht und ihm zur Versöhnung die Hand reicht.

Dass dies der als arrogant und brutal, von Kevin Baron markant gezeichnete Antonio (sekundiert von Daniel Wegener als in den Sadismus getriebene Psycho-Wrack)  wohl nicht ganz einlösen wird, ist zu erwarten: Insofern wird der zu „schöne“, fast kitschig wirkende Schluss innerhalb der humanistischen Botschaft von der Inszenierung geschickt relativiert.

Auch der Vater von Ferdinand, dem gleichfalls vom Sturm an die Insel angespülten Prinzen, den Moritz Wein als jovialen Alten, von Gewissensbissen geleiteten Admiral zeichnet, ist in seiner Schwäche nur ein unsicherer Adressat (mit dem von  Robin Leven  klar gezeichneten Humanisten als einziger positiver Figur in seinem Gefolge).

Überhaupt sind die Adligen in dieser Inszenierung ohnehin bloß die Getriebenen einer egozentrisch gewordenen, kaum noch beherrschbaren Matrosen-Soldateska, für die – wenig christlich – nur Reichtum und Triebbefriedigung  zu gelten scheinen; diese sind also  lediglich die Spiegelbilder  ihrer imperialistisch, rassistisch und sexistisch eingestellten Obrigkeit. Marko Noack, Sören Winter, Marius Brüggemann, Chris Dostert  sowie Moritz Wein, Patrick Vossmann und Alexander Damerau spielen sie in einer Reihe von skurrilen Actionszenen bemerkenswert flexibel und tänzerisch, oftmals von Szenen-Beifall begleitet.

 

Den beiden Narren des Stückes obliegt es, die Doppelmoral der Europäer auf sarkastischste Weise zu verdeutlichen – in der nicht unumstrittenen Gratwanderung bei der sehr breiten Darstellung einer Folterung auf offener Bühne, innerhalb derer  nur wenige Zuschauer sich aufgerufen sehen, die Brutalitäten zu unterbinden; analytische  Glanzleistung von Phillip Kautz und Julian Kämmerer).

In allen diesen Episoden  geht die Inszenierung weit  über die Shakespearesche Vorlage hinaus, wird politisch-aktuell im besten Sinne (so etwa in der Parodie des Vaterunser; Tim Lambe´ verdeutlicht in der Rolle des missionierenden Paters mit verblüffendem Understatement, wie sehr Religiöses nur zum äußerlichen Lippenbekenntnis geworden ist).

Die einzige Hoffnung in diesem Reigen geht von Miranda und Ferdinand, den Vertretern der neuen Generation,  aus, ein zartes Romeo-und-Julia-Paar, das  langsam zu einander findet. Janina Lange gibt ihrer Miranda – im glaubwürdigen Ausspielen der Emotionen einer jungen Frau zwischen  unterschiedlichen Männern, die sie nicht verletzen will – den nötigen spröden Charme. Den feinsinnigen  Prinzen  (in dessen charmanter Schlacksigkeit sehr intensiv angelegt von Moritz Frederik Wenzel) überkommt  alles wie ein unfassbarer Traum  (äußerst anrührend sein lyrisches Gesangs-Solo mit Gitarre zum Wendepunkt der Handlung); am Ende der Beziehung steht ein großes feierliches Hochzeitstableau.

 

Seitab allerdings steht Kaliban, als immer noch Betrogener – oder Verzichtender? Mit  Wladlen Dneprov ist diese akzentreiche, vom Shakespeare-Original am meisten abweichende, Rolle kongenial besetzt: im Versuch einer Analyse des Kolonialismus aus der Sicht der Betroffenen. Wie Othello wird er von den Weißen immer wieder „ausgeknockt“, und auch seinem Stamm ist er entfremdet (Mirco Schilling gibt den strengen Medizinmann als unerbittliche Dominanz): von Miranda wird der Farbige als Liebhaber gefürchtet, das Bündnis mit den bigotten Europäern scheitert (köstlich gestaltete Dolmetscher-Szene mit Lukas Guhle), nach der Folterung liegt er im Staub wie ein Gekreuzigter , die Mutter Sykorax  stößt  ihn  in einem Seebeben (virtuose Lichtregie) von sich, seine „Auferstehung“ ist nur eine humoristische Seiteneinlage. Vlad vermag die Spannung dieser tragischen Entwicklungen mit großem Einfühlungsvermögen zu versinnbildlichen, ohne jegliche Penetranz oder moralischen Zeigefinger.

Die Aufrechterhaltung der Ideale ist die Angelegenheit der obersten Inselgeister.  Die Hola-Dramaturgie hat  die Figur des Ariel entscheidend ins Metaphysische gewendet und der Welt der überzeitlichen Mächte ein Gepräge gegeben, das ganz offensichtlich von Shakespeares Drama  „Ein Sommernachtstraum“ inspiriert worden ist.  Ariel ist hier nicht mehr der bloß dienende Geist von Pucks kapriziöser Gestalt.  Doppelgesichtig  tritt er in Engelsgestalt auf (überragend dargestellt von Samy Douglas-Salar –  zusammen mit Laura Becker und den weiteren geflügelten Wesen:  in ätherischen Gewändern und merkwürigen,   an den Buddhismus gemahnenden Bewegungen:  Jessica Witt, Lea Paulus, Kathrin Stall, Valerie Stupp, gefolgt von den beiden schönen Jünglingen Amor und Narziss (Mirko Djordjevic und Niklas Pivecka in bedeutungsträchtig gestalteten Studien als Hüter der nicht entfremdeten Natur; ihre markant gespielten Gegenspieler als undurchschaubare Dämonen sind Lukas Winter, Matthias Hentschel, Luca Koester und Jannik Zorn) .  

 

Der auch beim großen Engländer unklar bleibende mythologische Hintergrund weitet sich in der HoLa-Bearbeitung allerdings zum Mysterienspiel: Die guten Geister haben zunehmend die Oberhand. Ariel erweist sich immer deutlicher als der Herr des Schicksals, gleichsam als Gegengewicht  gegen die animistische Krake Sykorax oder das christliche Erlösungs-Kreuz – oder handelt er gar in ihrem Auftrag – als unerschütterliche Vergegenwärtigung des Guten?  Ariel bewirkt in Prospero die Wandlung hin zum Weisen, zum Verzeihenden; die Lebensbühne wird er nun den anderen überlassen, den jungen.

Die Inszenierung  am öffnet sich am Schluss wieder (wie am Anfang) unter Renaissance-Fanfaren (mit der Melodie der „Hola-Hymne“) der aktuellen Lebenswelt des Ensembles, dem Übergang in eine neue Spielzeit.

Neben den Hauptdarstellern füllt sich die Bühne mit der großen Schar der weiteren Mitwirkenden: den wunderbar kessen Nixen aus der Oberstufe (Paula Miss, Melissa Celikkol, Nicola Euler, Johanna Bandorf, Chiara Raab, Melanie Weltken, Verena Gühne) oder dem Hola-Löwen (Alexander Bodach) neben den Pfauen und dem quirlingen Äffchen (Jasmin Matejikowa, Dilara Yildrim, Lara Kohl) und aus der Mittelstufe den mit großem Ernst ihre Rolle füllenden Kaliban-Kriegern und den unterschiedlichen Feuer-,Wasser, Vulkan- und Luftgeistern (Klassen 6,7 und 8) –  alle mit unerschütterlicher Spielfreude und hoher Flexibilität agierend.

Erland Schneck-Holze dankte nach der Drei-Stunden-Aufführung  zunächst den beteiligten Ex-Holanern, namentlich den Haupt-Abendregisseuren und Mitdramaturgen Rene Fleischer und Christian Klein, letzterer auch Ko-Produzenten in allen Abteilungen –dies repräsentativ für alle, die bereits früher in gleichen Positionen Verantwortung trugen.

 

Ein großer Stab weiterer Mitwirkenden hinter der Bühne verbeugt sich ebenso: Ton- und Lichttechniker aus den Abi-Kursen, Koordinatorinnen für die sehr umfangreichen Requisiten, das Schminkteam und die Verwalterinnen der Kostüme, desgleichen zahlreiche Unterregisseure. Man merkt: in den heißen Tagen der Vorbereitung sind offensichtlich sehr viele Schülerinnen und Schüler mit dem Hola-Theaterunternehmen befasst… Dank der traditionellen Unterstützung durch die Schul- und Klassenelternschaft, Schulleitung , Kollegium und die Freunde und Förderer der Hola.

Dass die Soroptimistinnen Hanaus das STURM-Projekt mit so viel Engagement begleiteten,  habe ihn besonders tief berührt, gesteht Erland Schneck (…schließlich gab es ja im April  eine vorbereitende Benefizveranstaltung im Comoedienhaus Wilhelmsbad mit den Profi-Schauspielern und Ex-Holanern Dominic Raacke und Rolf Kanies).  Ganz besonders verbunden fühle er sich gegenüber den kulturell engagierten Gremien der Stadt Hanau: Sie haben es in einer großzügigen Zuwendung ermöglicht – nicht zuletzt veranlasst durch den Schirmherrn der STURM-Veranstaltung, Oberbürgermeister Kaminsky,  und dem Kulturbeauftragten Stadtrat i.R. Klaus Remer  – , dass das Hola-Ensemble nach langer Zeit wieder in den Paul-Hindemith-Saal zurückgekehrt sei, damals, 1976, beim ersten Stück – Büchners „Leonce und Lena“ : als das CPH noch „Stadthalle“ hieß.

Einige der Ehemaligen aus vergangenen  Projekt-Gruppen versammeln sich um Erland Schneck auf der Bühne und spielen ihm zu Ehren einen Schillerschen „Bürgschafts“-Sketch.

… und dann  – zum Abschied – werfen „den Impressario“ seine Leute wieder atemberaubend in die Lüfte.

 

(Ex-Holaner-Gruppe, nach Gesprächen mit Erland Schneck-Holze; 2011) 

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